Christin Melcher

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Politische Verantwortung in Sachsen

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Sachsen soll einen neuen Ministerpräsidenten bekommen und hat einen neuen Kultusminister. Diese scheinbare personelle Neubesetzung dient lediglich dazu, das bisherige System wieder in Stand zu setzen – jenes System, das zu den Krisen in unserem Land geführt hat. Aber die Probleme in Sachsen können nicht durch alte Strukturen gelöst werden. Dass weder Pegida noch der rassistische Normalzustand noch jeglicher anderer Skandal zu einem personellen Wechsel in der Regierung geführt hat, sondern schlussendlich ein Interview des „Königs Biedenkopf“, autorisiert das System der sächsischen CDU und ist sinnbildlich für die politische Kultur in Sachsen. Dieses Politikverständnis handelt ganz im alten Stil. Die CDU ist weder für eine personelle, noch zu einer inhaltlichen Erneuerung fähig. Der designierte Ministerpräsident Kretschmer bringt es selbst auf den Punkt: man möchte „nachsteuern“ – das ist verräterisch, man will den Kurs beibehalten. Das ist Politik auf Sicht zum Zwecke des eigenen Machterhaltes. Auf Sicht zu steuern bedeutet nichts anderes, als im Nebel zu stochern. Dabei kommt es jetzt darauf an, einen neuen Kurs einzuschlagen und eine neue politische Kultur zu etablieren. Es ist offensichtlich, dass das politische Personal in der Regierung momentan überfordert ist. Die Probleme in Sachsen sind nicht einem Ministerpräsidenten, einer Kultusministerin oder einem Finanzminister anzukreiden – sie sind der politischen Kultur anzukreiden. Kern des Problem ist kein individuelles Fehlverhalten sondern die fehlende Bereitschaft zu gestalten und politische Verantwortung zu übernehmen.
Sachsen befindet sich in der Krise. Über 27 Jahre nach dem Systemumbruch sind die Städte schöner denn je, sinken die Arbeitslosenzahlen und geht es wirtschaftlich aufwärts. Dennoch wurde eine rechtspopulistische Partei bei der Bundestagswahl stärkste Kraft. Seit einigen Jahren wird offensichtlich, welches Gedankengut sich quer durch alle Bevölkerungsschichten in Sachsen verbreitet hat. Clausnitz, Freital und Heidenau, Bautzen, Einsiedel und andere traurig-berühmte Orte sind nur die beschämende Spitze eines Eisbergs. Auch nach über 27 Jahren Rechtsstaat und Demokratie sind großen Teilen der Bevölkerung Meinungsvielfalt, politischer Streit und die Komplexität demokratischer Prozesse fremd. Die gesellschaftliche und politische Krise in diesem Land kommt nicht von ungefähr. Auch wenn Demokratie und grundlegende Menschenrechte verfassungsmäßig verankert sind, sind sie oft bedroht und werden ausgehöhlt. Viel Menschen engagieren sich tagtäglich unverdrossen für den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Sie stoßen in Sachsen immer wieder auf Grenzen – seit Jahren.
Die Neubesetzung des Ministerpräsidenten dient lediglich zur eigenen Besitzstandwahrung einer obrigkeitsstaatlichen Regierungstradition. Die Gefahr ist groß, dass die CDU einen weiteren Rollback vollziehen wird, noch konservativer wird, noch mehr Freiheitsrechte einschränken wird und weiter den zivilgesellschaftlichen Zusammenhalt durch Vorurteile gefährden wird.
Es ist Zeit für eine Debatte zur politischen Verantwortung. Aber eine Debatte über politische Verantwortung greift zu kurz, wenn sie sich an der Personalia des Ministerpräsidenten aufhält.
Dabei kommt es auch auf uns BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN an. Es ist Zeit den Kurs zu ändern, einen neuen Kurs in der politischen Kultur einzuschlagen. Es kommt jetzt darauf an, die Debatte über politische Verantwortung ernsthaft zuführen, nicht innerhalb einer Koalition, sondern innerhalb der Gesellschaft. Die Debatte ernsthaft zu führen bedeutet den Vertrauensverlust ins politische System in seiner Gesamtheit zu thematisieren. Unsere Demokratie fußt auf Vertrauen – ich gebe meine Stimme ab, ist nicht nur schlicht der Gang zur Urne, es ist ein Vertrauensvorschuss, derjenigen die arbeiten, die Kinder hüten oder Computer spielen an uns Politiker*innen in ihrem Sinne das Richtige zu tun. Doch dieses Vertrauen wurde verspielt.
Vertrauen kann zurückgewonnen werden, wenn die Menschen das Gefühl haben, dass sich die Dinge zum Guten wenden werden: Schluss mit dem Spardiktat, Schluss mit der Auszehrung der öffentlichen Hand und des Polizeiapparates, wir brauchen eine Bildungsoffensive, einen verantwortungsvollen Umgang mit dem Klimawandel, ein gelingendes Gemeinwesen, ein Dialog mit den Menschen, ein demokratischen, menschenrechtsorientierten Aufbruch in Verwaltung und staatlichen Institutionen und eine grundsätzlich andere politische Kultur.
Vertrauen setzt das Vorhandensein von Alternativen voraus. Es darf nicht länger in Hinterzimmern über die Geschicke im Land entschieden werden, es darf nicht länger jeder Impuls, jede neue Idee, jede neue Innovation mit einer ablehnenden Arroganz der Regierungskoalition abgetan werden. Politik darf kein „closed shop“ sein. Es darf nicht länger jede Kritik, jede Anregung der Opposition oder von anderen außerparlamentarischen Institutionen als „Sachsen Bashing“ abgetan werden, es darf nicht weiter jegliche Mitarbeitsbereitschaft von der Zivilgesellschaft ausgeschlagen werden, es darf von der Regierung nicht mehr alles Neue, gestaltende mit den Wort „Alternativlosigkeit“ abgetan werden. Zur politischen Verantwortung gehört es auch zu gestalten, statt sich auf den Erfolgen der Vergangenheit auszuruhen. Gute Politik bedeutet eine Idee davon zu haben, in welcher Gesellschaft wir einmal leben wollen und diese aktiv über Prozesse herbeizuführen. Und schließlich gehört es zur politischen Verantwortung Fehler einzugestehen, niemand macht alles richtig. Ehrlichkeit und Glaubwürdigkeit im Umgang mit den eigenen Fehlern wird neues Vertrauen in die Politik schaffen.
Packen wir es gemeinsam an, bevor wir mit dem falschen Kurs Sachsen gegen die Wand fahren. Sachsen ist änderbar.

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