Christin Melcher

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Schule und Inklusion: Wir müssen flächendeckend die notwendigen Voraussetzungen für inklusiven Unterricht schaffen

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Redebeitrag der Abgeordneten Christin Melcher (BÜNDNISGRÜNE) zum Antrag der Fraktionen CDU, BÜNDNISGRÜNE und SPD „Sonderpädagogische Förderung und Inklusion an sächsischen Schulen voranbringen“
26. Sitzung des 7. Sächsischen Landtags, Donnerstag, 25.03.2020, TOP 5

Sehr geehrter Herr Präsident,
liebe Kolleginnen und Kollegen,

schulische Inklusion ist kein Projekt, sondern ein Prozess, für den wir einen langen Atem brauchen. Der Umfang des vorliegenden Antrags zeigt das.

Inklusion endet nicht damit, Schülerinnen und Schüler mit Behinderungen in Regelklassen zu beschulen. Inklusion endet auch nicht mit einer fixen Quote. Wir wollen, dass Inklusion in der Praxis gelingt und gelebt wird. Wir wollen wissen, wo wir bereits auf einem guten Weg sind und wo wir nachsteuern müssen. Und wir wollen vom Wissen zum Handeln kommen.

Lassen Sie mich einige Aspekte aus der ausführlichen Stellungnahme der Staatsregierung zum Antrag herausgreifen.

Seit dem Schuljahr 2019/20 verzichten 18 sächsische Grundschulen auf die Diagnostik in den Förderbereichen Lernen sowie emotionale und soziale Entwicklung vor der Einschulung und in der Klassenstufe 1. Die Erfahrungen aus der Pilotphase werden bis zum Ende dieses Schuljahres gesammelt. Bis zum 30. Juni nächsten Jahres werden wir hier im Landtag darüber entscheiden, ob die Regelung auf alle sächsischen Grundschulen ausgeweitet wird.

Erste Rückmeldungen aus den Modellschulen zeigen: Diese Entscheidung wird nicht einfach. Das Kultusministerium schreibt in seiner Stellungnahme – ich zitiere: „Ein Verzicht auf die Feststellung des sonderpädagogischen Förderbedarfs im Förderschwerpunkt Lernen in Klassenstufen 1 und 2 bedeutet, dass die Entwicklungsrückstände größer und Misserfolge damit manifester werden. Die Zeit für eine gezielte, frühe Förderung geht verloren.“

Weiter heißt es: „Die zusätzliche personelle Unterstützung ist eine gute Maßnahme, die zunehmende Heterogenität am Schulbeginn aufzufangen. Sie kann jedoch weder die sonderpädagogische Diagnostik noch die notwendige gezielte Förderung ersetzen.“

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

wir müssen uns klar machen, welche Gründe FÜR und welche GEGEN eine Diagnostik sprechen.

Um es klar zu sagen: Uns BÜNDNISGRÜNEN geht es nicht um eine künstliche Senkung der Förderquote. Jedoch lehnen wir es ab, wenn ein festgestellter sonderpädagogischer Förderbedarf als Label verwendet wird, das primär das Sortieren von Kindern erleichtert. Wie im Koalitionsvertrag vereinbart, muss es das Ziel der Diagnostik sein, bedarfsgerechte Fördermaßnahmen einzuleiten, um eine erfolgreiche Unterrichtung an einer Regelschule zu ermöglichen. Der Verzicht auf die Eingangsdiagnostik muss zwingend mit zusätzlichen Ressourcen für die Schulen verknüpft werden.

Wir BÜNDNISGRÜNE sehen da noch Luft nach oben. Wir brauchen keine Gießkanne, sondern einen Sozialindex. Wir müssen also sozialräumliche Kriterien und die Zusammensetzung der Schülerschaft stärker berücksichtigen. Inklusion hängt auch, aber bei Weitem nicht nur, an Ressourcen. Wir müssen genau hinschauen, wie weit der tatsächliche Bedarf reicht und wo die Ausflüchte beginnen.

Noch immer besuchen 64,7 Prozent der Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf eine Förderschule, im Förderschwerpunkt Lernen sind es 92, im Förderschwerpunkt geistige Entwicklung gar 96 Prozent.

Ohne Zielzahlen zu forcieren, ist klar, dass der Weg noch weit ist. Wir müssen flächendeckend die notwendigen organisatorischen, personellen und sächlichen Voraussetzungen für inklusiven Unterricht schaffen.

Die Zahlen aus dem Kultusministerium dokumentieren außerdem den großen Mangel an sonderpädagogischen Fachkräften. Um den Unterricht an den Förderschulen vollständig abzudecken, wären zusätzlich 250 Vollzeitäquivalente nötig. Neben der quantitativen Lücke fehlt es vielerorts an sonderpädagogischem Know-how.

Zum 01. Dezember 2020 waren 44,2 Prozent der Lehrkräfte an Förderschulen schulartfremd ausgebildet beziehungsweise hatten keine förderpädagogische Zusatzqualifikation.
Wir müssen mehr sonderpädagogische Fachkräfte ausbilden – auch durch Qualifikation von Seiteneinsteigern – und das Thema inklusive Bildung in allen Lehramtsstudiengängen stärken.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

wir haben im Koalitionsvertrag vereinbart, einen unabhängigen Beirat „Inklusive Schule in Sachsen“ einzurichten. Hier wünsche ich mir mehr Tempo, wohlwissend, dass Corona uns auch hier ein Stück weit bremst. Inklusion ist eine Frage der Schulentwicklung und der Schulkultur – wohlgemerkt aller Schularten. Deshalb hoffe ich, dass auch alle Schularten im Beirat abgebildet sein werden.

Inklusion setzt nicht auf die Anpassung Einzelner, sondern auf das Umdenken aller. Lassen Sie uns diesen Prozess gemeinsam weiter voranbringen.

Vielen Dank.

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