Christin Melcher

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Schulgesetznovelle – Melcher: Wir wollen, dass Kinder mit und ohne Behinderung miteinander leben und lernen können

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Redebeitrag der Abgeordneten Christin Melcher (BÜNDNISGRÜNE) zum Gesetzentwurf der Fraktionen CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD: „Fünftes Gesetz zur Änderung des Sächsischen Schulgesetzes“ (Drs 7/10338)
62. Sitzung des 7. Sächsischen Landtags, Donnerstag, 15.12.2022, TOP 4

– Es gilt das gesprochene Wort 

Sehr geehrter Herr Präsident,
liebe Kolleginnen und Kollegen,

am vergangenen Freitag stellten die Behindertenbeauftragten des Bundes und der Länder fest: Das Menschenrecht auf inklusive Bildung wird in Deutschland noch immer nicht flächendeckend gewährt.

Der Anteil der Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf ist in den vergangenen Jahren gestiegen. Die Exklusionsquote, also der Anteil der Schülerinnen und Schüler mit Förderbedarf, die nicht inklusiv beschult werden, sinkt kaum. Drei von vier jungen Menschen verlassen die Förderschulen ohne Abschluss.

Ich möchte diesen Befunden weitere zur Seite stellen: In Sachsen hat sich der Anteil inklusiv beschulter Schülerinnen und Schüler seit 2015 von 31,7 auf 36,4 Prozent erhöht. Die Förderschulpflicht wurde mit der letzten Schulgesetznovelle 2017 abgeschafft. Es wurden 64 Kooperationsverbünde gebildet, um eine wohnortnahe, inklusive Beschulung zu sichern.

Gleichzeitig beträgt der Anteil der Schülerinnen und Schüler, denen ein sonderpädagogischer Förderbedarf attestiert wird, im Freistaat unverändert 7,8 Prozent. Die Zahl der Schülerinnen und Schüler an Förderschulen stieg von 18.745 im Schuljahr 2015/16 auf 19.201 im Schuljahr 2020/21. Von den rund 3.500 Lehrkräften an Förderschulen in öffentlicher Trägerschaft haben 44,2 Prozent keine entsprechende sonderpädagogische Ausbildung.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

die Zahlen und Befunde zeigen es: In puncto inklusives Schulsystem ist einiges passiert, aber gleichzeitig ist noch viel zu tun.

Wir BÜNDNISGRÜNE streben eine inklusive Gesellschaft an. Wir wollen, dass Kinder mit und ohne Behinderung miteinander leben und lernen können. Es ist wichtig, dass sich Kinder in all ihrer Vielfalt und mit ihren jeweiligen Besonderheiten in Kita und Schule begegnen – es ist wichtig für die individuelle Förderung, aber auch für die Gesellschaft insgesamt.

Und die vorliegende Schulgesetznovelle ist ein weiterer Schritt hin zu einem inklusiven Schulsystem in Sachsen.

Doch was tun wir konkret?

Erstens: Wir beenden die Pilotphase an den sächsischen Grundschulen, die in den vergangenen Schuljahren auf die Feststellung eines sonderpädagogischen Förderbedarfs in den Förderschwerpunkten Lernen sowie emotionale und soziale Entwicklung vor der Einschulung und in Klassenstufe 1 verzichtet haben. Diese Entscheidung ist uns BÜNDNISGRÜNEN nicht leicht gefallen. Doch das Feedback der Schulleiterinnen und Schulleiter war deutlich: Eine frühzeitige Diagnostik ist zentral, um sonderpädagogische Unterstützung für die Kinder anbieten zu können, die darauf angewiesen sind.

Im Doppelhaushalt 2023/24 haben wir als Koalition finanzielle Vorsorge getroffen, um die ehemaligen Pilotschulen auch nach dem 31. Juli 2023 weiterhin angemessen zu unterstützen – sei es durch zusätzliche Assistenzkräfte oder zweckgebundene Zuweisungen.

Auch behalten wir im Gesetz die Verpflichtung bei, den sonderpädagogischen Förderbedarf regelmäßig zu überprüfen – im Sinne einer Lernverlaufs-, nicht im Sinne einer Feststellungsdiagnostik.

Zweitens: Wir öffnen mit der Gesetzesnovelle weitere Schularten für den lernzieldifferenten Unterricht. Künftig sollen auch an Berufs- und Berufsfachschulen Schülerinnen und Schüler lernzieldifferent unterrichtet werden. Damit sichern wir die Anschlussfähigkeit im berufsbildenden Bereich.

Drittens – und dies ist uns BÜNDNISGRÜNEN ein besonderes Anliegen: Wir sichern die inklusive Beschulung, wo sie gewünscht ist. Das Schulgesetz sieht künftig vor, dass die Schulaufsicht den Ort der inklusiven Beschulung festlegen kann, wenn es innerhalb eines Kooperationsverbunds keine Einigung gibt. Dies muss mit Schulleitung und Schulträger abgestimmt sein, erfolgt also nicht willkürlich oder per Zwang.

Die Regelung soll verhindern, dass ein Kind von einer Schule an die andere verwiesen und letztlich nicht beschult wird. Diesbezügliche Fälle sind uns aus Dresden und dem Erzgebirge bekannt geworden und haben mich tief betroffen, ja, wütend gemacht.  Insofern bin ich froh, dass wir eine solche Regelung im Gesetz verankern konnten.

Viertens: Der Gesetzentwurf ermöglicht die Einrichtung eines neuen Bildungsgangs zur „Erlangung der Berufsreife“ an Schulen mit dem Förderschwerpunkt Lernen. So sollen mehr Schülerinnen und Schüler ein dem Hauptschulabschluss gleichgestellten Abschluss erwerben können.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

es wird Sie nicht überraschen, dass wir innerhalb der Koalition nicht in allen Punkten einig geworden sind. So sehen wir BÜNDNISGRÜNE unverändert alle Schulen – und alle Schularten – in der Verantwortung, Kinder und Jugendliche inklusiv, das heißt auch lernzieldifferent, zu beschulen.

Wir sehen unverändert die Aufgabe, mehr Schülerinnen und Schüler zu einem „echten“ Abschluss zu führen.

Auch die Entwicklungsziele eines Kooperationsverbundes hätten wir gerne gesetzlich – und damit verbindlich – geregelt, ebenso wie die vorgesehene personelle und finanzielle Unterstützung für Schulen, die sich in besonderem Maße der Aufgabe der Inklusion stellen.

Weitere Punkte, die Inklusion voranbringen, aber nicht im Schulgesetz zu regeln sind, haben wir in einem Entschließungsantrag formuliert. Dazu später mehr durch meine Kollegin Sabine Friedel.

Zunächst bitte ich um Zustimmung zum Gesetzentwurf. Vielen Dank!

kristen
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