Christin Melcher

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Schulbegleitung – Inklusion für Einige oder für Alle?

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Das Bild zeigt unscharf im Hintergrund eine Schultafel mit Kreise. Darauf steht der Text: Schulbegleitung & Inklusion - Was Schulbegleitung eigentlich heißt und was sie für Inklusion an unseren Schulen bedeutet

Schulbegleitung ist ein Tätigkeitsfeld, von dem man viel hört, aber wenig weiß. Die meisten ahnen zumindest, dass es irgendwie damit zu tun hat, dass Schülerinnen oder Schüler mit zusätzlichem Unterstützungsbedarf durch eine pädagogische Fachkraft im Unterricht begleitet werden.

In meinem Insta-Live-Gespräch vom 29. April konnte ich mit Anne-Katrin Thierschmidt, Diplom-Pädagogin und Beraterin für Inklusion und Schulbegleitung, über das Thema sprechen und viele Fragen erörtern.

In diesem Blogbeitrag möchte ich eine kurze Definition anbieten, den sächsischen Weg im Bereich Schulbegleitung darstellen und dann tiefer auf die Bedeutung von Schulbegleitung für Inklusion und Schulkultur eingehen. Schließlich wage ich einen Ausblick: Kann Schulbegleitung ein inklusives Element für alle Beteiligten an Schule werden? Und wie könnte eine inklusive Schule in Zukunft aussehen?

Was ist Schulbegleitung?

Schulbegleitung meint die Begleitung eines Kindes mit eingeschränkter Teilhabe, meist bedingt durch eine Beeinträchtigung. Begleitung bedeutet in diesem Falle, dass das Kind physisch in der Bildungseinrichtung begleitet wird: im Unterricht bei der Bearbeitung seiner Aufgaben, bei der Orientierung im Schulalltag und im Zusammenleben mit anderen Schüler*innen der schulischen Gemeinschaft. Hierbei ist es wichtig, die Schulbegleiter*in von der Lehrkraft zu unterscheiden. Eine gute Zusammenarbeit zwischen Schulbegleitung und Lehrkraft ist für das Kind mit zusätzlichem Unterstützungsbedarf enorm wichtig.

Eine Schulbegleitung kann sowohl an Förderschulen als auch an Regelschulen erfolgen. Den Eltern des Kindes obliegt die Entscheidung, an welchem Lernort sie ihr Kind besser aufgehoben sehen.

Wie kommt ein Kind zu einer Schulbegleitung?

Um eine*n Schulbegleiter*in an die Seite zu bekommen, müssen Sorgeberechtigte einen Antrag auf Eingliederungshilfe beim Jugendamt oder auf Hilfe zur Teilhabe beim Sozialamt stellen. Dieses prüft dann, ob in Folge einer Behinderung oder Beeinträchtigung auch eine Beeinträchtigung der Teilhabe vorliegt. Dafür bezieht sich das Amt auf vorliegende fach- oder amtsärztliche Gutachten.

Bei Schulanfänger*innen kann auch die in der Schuleingangsphase gegebenenfalls stattfindende Diagnostik zur Feststellung eines besonderen Förderbedarfes Grundlage für die Beantragung einer Schulbegleitung sein. Diese Diagnostik dient der Feststellung eines oder mehrerer Förderschwerpunkte. Auf deren Grundlage werden notwendige Fördermaßnahmen festgelegt.

Die Eltern werden entsprechend beraten und entscheiden schließlich, auf welche Schule ihr Kind gehen soll. Wenn diese Schule dem Förder- und Unterstützungsbedarf des jungen Menschen nicht durch Lehr- und Förderkräfte allein gerecht werden kann, können Schulbegleiter*innen diese zusätzliche Unterstützung leisten.

Warum ich meine, dass Inklusion und Schulbegleitung anders gedacht und organisiert werden müssten

Die durch Deutschland 2009 anerkannte Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung fordert Bildungseinrichtungen, welche in der Lage sind, alle Kinder ihren Ressourcen entsprechend zu fördern. Einige Entwicklungsschritte wurden bereits gegangen.

So ist zum Beispiel sonderpädagogische Kompetenz an die Regelschulen gekommen. Allerdings erfolgt die Verteilung sonderpädagogischer Ressourcen nach wie vor durch einen Schlüssel, dem die sonderpädagogische Diagnostik zugrunde liegt. Das heißt, zusätzliche Unterstützung kann in den Schulen oft erst dann geleistet werden, wenn Kinder dieses Verfahren durchlaufen haben. Ebenso kommt zusätzliche Unterstützung aus der Sozial- und Jugendhilfe nicht ins System, sondern erfordert eine vorherige Diagnose – auf das betroffene Kind bezogen.

Viele Kinder müssen sich diesen diagnostischen Verfahren wiederholt in ihrer Schulzeit stellen. Zahlreiche Untersuchungen legen mittlerweile dar, dass diese Verfahrensweisen stigmatisierende Wirkung haben können und immer eine Verbesonderung bedeuten statt ein System entstehen zu lassen, in dem alle selbstverständlich Bildungsgerechtigkeit und gleich Chancen vorhanden.

So stellt sich die Frage, wem unser aktuelles System der Diagnosen und Gutachten nutzt, außer dem System selbst? Mit Kategorien können wir, kann die Verwaltung arbeiten, aber:

Kinder sind in höchstem Maße individuell, und so ist es ihre Entwicklung in wiederum heterogenen Klassen und Schulgemeinschaften. So kann der Bedarf einer Begleitung wegfallen oder in herausfordernden Lebensphasen (Umzug, Trennung der Eltern, Pubertät o.ä.) neu entstehen.

Viele Entwicklungen können vorliegende Diagnoseverfahren nicht erfassen oder werden ihnen nicht gerecht, zumindest nicht so kurzfristig wie Unterstützungsbedarfe. Wenngleich eine sonderpädagogische Diagnostik sinnvoll ist, den notwendigen Förderbedarf zu erkennen und entsprechende Maßnahmen und Förderpläne abzuleiten, ist der Sinn daraus folgender Kategorisierungen von Schüler*innen zu hinterfragen. Denn diese bräuchten sie nicht, sie brauchen einfach nur gute Förderung, in der Schule, in der auch die Kinder aus der Nachbarschaft lernen.

Im Landtag wird momentan die Evaluation der „Pilotphase Inklusion“ (Verzicht auf Eingangsdiagnostik vor der Einschulung und in der 1. Klasse) und der Kooperationsverbünde (Netzwerke für den Austausch zu Themen wie Diagnostik, Eingliederungshilfe u.a., Zusammenarbeit von Schulen, Kinder- und Jugendhilfeträgern u.a.) vorbereitet, gleichzeitig liegen Ergebnisse des Schulversuchs ERINA („Erprobung von Ansätzen zur inklusiven Beschulung von Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf in Modellregionen“) vor. Ich erwarte den Bericht des Kultusministeriums, der im September 2021 dem Landtag vorgelegt werden soll, mit großer Spannung.

Meine Gesprächspartnerin Anne-Katrin erinnerte an den Satz „Nichts über uns ohne uns“, welcher eine Forderung vieler Interessenvertretungen und Selbstvertretungen von Menschen mit Behinderung ist. Auch daran müssen wir stetig arbeiten: Wir müssen MIT den Betroffenen und ihren Eltern sprechen und gestalten, nicht ÜBER sie. Die Frage sollte lauten: Was brauchen die Schülerinnen und Schüler, was brauchen die Eltern?

Diesbezüglich haben wir bereits Ende 2019 in unseren Koalitionsvereinbarungen über die Einrichtung eines unabhängigen Beirats „Inklusive Schule in Sachsen“ entschieden. Die Auftaktberatungen dazu sind, auch durch die aktuelle Pandemiesituation, auf dieses Jahr verschoben worden. Wir haben der Forderung nach Einrichtung eines Beirats im Landtagsplenum im März durch einen Antrag der Koalitionsfraktionen Nachdruck verliehen.

Wie kann, wie soll das funktionieren?

Schulbegleitung hat ein enormes Potential, Inklusion an Schulen voranzutreiben. Dafür braucht es jedoch Voraussetzungen, die zum Teil im aktuellen System (noch) nicht erfüllt werden:

Für eine inklusive Schulkultur!

Denken wir das Bildungssystem als ein offenes System, mit mehr Durchlässigkeit zwischen den einzelnen Hilfen und Unterstützungssystemen, auch hinsichtlich der Kinder- und Jugendhilfe und der Sozialhilfe. Alle unterstützenden Strukturen sollten offen miteinander und für die betroffenen Kinder arbeiten, um so das bestmögliche Fördernetzwerk spannen zu können. Gleichzeitig müssen wir schauen: Wo sind Barrieren, die wir abbauen müssen, um möglichst vielen Kindern mit Förderbedarf den Besuch einer Regelschule zu ermöglichen?

Anne-Katrin berichtete von Familien, die sich für ihr Kind zwar den Besuch der Regelschule wünschen, dort aber nicht die Rahmenbedingungen oder Fördermöglichkeiten finden, die notwendig wären, und sich deshalb für den Besuch der Förderschule entscheiden. Ziel sollte sein, alle Schulen so zu entwickeln, dass alle Schüler*innen in ihrer Vielfalt dort die sehr guten Bedingungen vorfinden, die sie benötigen. Es sollte nicht darum gehen, die jungen Menschen mit möglichst viel Assistenz passend für ein System zu machen, sondern das System der Heterogenität junger Menschen anzupassen. Wir müssen nicht mehr darüber debattieren, OB wir Inklusion haben wollen, sondern darüber WIE sie gelingen kann.

An dieser Stelle dürfen die Gemeinschaftsschule und die Oberschule+ nicht unerwähnt bleiben. Die neuen Schulformen sind prädestiniert dafür, von Anfang an als inklusive Schule gedacht und geplant zu werden.

Eine inklusive Schulkultur heißt, Schüler*innen in ihrer Vielfalt willkommen zu heißen. Eine solche Schulkultur, unabhängig von der Schulart, nützt allen: den Schüler*innen mit und ohne Förderbedarf, den Fachkräften, den Eltern und am Ende auch unserer Gesellschaft. Denn unsere Gesellschaft ist divers und vielfältig. Diese Realität so früh wie möglich zu erleben, statt in einer „Blase“ zu lernen, erscheint mir sehr wünschenswert – für uns alle.

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Hier findet ihr den Antrag der Koalition „Sonderpädagogische Förderung und Inklusion an Sächsischen Schulen voranbringen“ mit der Stellungnahme des Kultusministeriums (sehr spannend!).

Wer sich für den QuerWege e.V. im thüringischen Jena interessiert, für den Anne-Katrin arbeitet, findet hier mehr Informationen: https://www.facebook.com/QuerWege.

Und wenn ihr Lust auf Weiterentwicklung von Schulbegleitung habt, erreicht ihr Anne-Katrin, die übrigens in Leipzig lebt, auch über ihre eigene Website www.thierschmidt.coach.

kristen
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