Am 05. Februar 2024 lud die BÜNDNISGRÜNE Landtagsfraktion zur Podiumsdiskussion „Haltung zeigen! Schule als demokratischen Ort stärken.“ in die Rösterei Momo in Freiberg. Christin Melcher, bildungspolitische Sprecherin der Fraktion, begrüßte die Gäste und stellte das Podium vor: Amy Kirchhoff, Vorsitzende des LandesSchülerRates Sachsen, Michael Jung, Vorsitzender des Sächsischen Lehrerverbands und Lehrer an einer Freiberger Oberschule, Constance Bornkampf, Mitbegründerin und aktives Mitglied im Netzwerk „Freiberg für alle!“, sowie Susann Peschel, Regionalkoordinatorin für die Regionen Chemnitz, Mittelsachsen und Erzgebirge von „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ Sachsen und Schulberaterin.
Die Situation an Schulen in Sachsen und bundesweit
Amy Kirchhoff berichtete, dass es an ihrer Schule nur selten zu Fällen von Diskriminierung oder antidemokratischem Verhalten gekommen sei, es aber durchaus Schulen mit massiven Problemen gäbe. Diese treten vor allem dort auf, wo es keine Schulsozialarbeit oder andere Unterstützung gibt. Michael Jung teilte die Einschätzung, dass die Situation regional unterschiedlich sei, abhängig vor allem vom sozialen Hintergrund der Familien. Freiberg sei hier noch in einer vergleichbar ruhigen Lage. Schule sei stets das Echo der Gesellschaft. Inwieweit es bei Vorfällen oder Problemen ein Einschreiten gäbe, hänge vor allem vom Kollegium ab, in jedem Fall sei es nicht nur Aufgabe einzelner Fächer bzw. Lehrkräfte. Nötig sei immer auch die Unterstützung durch die Eltern, denn Schule könne nicht alles allein auffangen.
Susann Peschel stellte einen Unterschied zwischen Stadt und Land fest. In ländlichen Regionen gäbe es oftmals kein richtiges Korrektiv, die Sichtbarkeit und Zugänglichkeit von/zu Hilfs- und Unterstützungsangeboten sei im städtischen Raum eher gegeben. Im ländlichen Raum blieben Vorfälle häufiger unentdeckt. Constance Bornkampf bestätigte, dass es Vorfälle an der Schule ihrer Kinder gab, die unter den Teppich gekehrt wurden. Der Ansprechpartner habe sich nicht wirklich gekümmert und es hätte an anderweitiger Unterstützung gefehlt.
Der Beutelsbacher Konsens und der Mythos der „Neutralitätspflicht“ von Lehrkräften
Michael Jung verwies darauf, dass er als Lehrer nicht neutral sein könne, zumal nicht als Gemeinschaftskundelehrer. Ihre dezidierte Aufgabe sei es Haltung zu zeigen und Schule als demokratischen Ort zu stärken. Die Grenzen müssten aber immer klar sein. Er appellierte, Schülerinnen und Schüler nicht zu unterschätzen, sie wüssten sehr genau, was läuft.
Amy Kirchhoff stellte klar, dass es zumindest eine parteipolitische Neutralität geben müsse. Die Schülerschaft an ihrer Schule sei sehr politisch, es gäbe Raum zur Meinungsbildung, wobei bei verfassungsfeindlichen Aussagen eingegriffen werde. Auch die Elternhäuser seien stark involviert.
Susann Peschel berichtete, dass sie in ihrer Arbeit im Netzwerk für Demokratie und Courage (NDC) permanent mit der Erwartung „Neutralität“ konfrontiert sei. Der Meldepranger der AfD hätte in der Lehrerschaft eine Kerbe hinterlassen. Dies wirke bis heute nach, eine Aufarbeitung sei nötig für „das Schlimmste, was sich die AfD bildungspolitisch geleistet hat“. Die falsche Auslegung des Beutelsbacher Konsens‘ sei ein großes Thema, die Verunsicherung und Angst bei Lehrkräften groß. Die Lehrerinnen und Lehrer wären verloren, vor allem dann, wenn die Schulleitung nicht hinter ihnen stehe. Das NDC hätte viel Material zum Thema vorgelegt und versuche aufzuklären.
Laut Constance Bornkampf wären viele Lehrkräfte im Netzwerk „Freiberg für alle!“ aktiv und sichtbar. Wenn man Wege zum Engagement suche, finde man diese auch. Susann Peschel stellte, mit Blick auf die anstehende Landtagswahl 2024 fest, dass viele Schulen ein Stück weit „geheilt“ seien von politischen Veranstaltungen. Diese wurden 2019 (im Vorfeld der letzten Landtagswahl) oftmals unterwandert und/oder nicht gut moderiert. Sie nehme wahr, dass sich die Schulen nicht gut gewappnet fühlten, aktuelle Themen, Infos und Diskurse aber von Schülerinnen und Schülern eingefordert werden. Vor allem direkt nach Vorfällen wäre die Unsicherheit groß. Hier sei es wichtig, Schülerinnen und Schüler, aber auch Lehrkräfte mit ihren Ängsten abzuholen und auch die vielen Handreichungen für politische Bildung zu nutzen.
Michael Jung hingegen nahm die Schulleitungen als fit wahr, schwieriger sei es in manchen Kollegien. Es sei nicht jeder bereit, sich die Zeit zum Reden zu nehmen – und es sei nicht jeder in der Lage dazu. Hinweise auf enge Lehrpläne oder der Verweis auf die Zuständigkeit des Gemeinschaftskundeunterrichts seien jedenfalls nicht zielführend. Aus seiner Sicht brauche es für Lehrkräfte keinen Wissensvorsprung, um mit den Schülerinnen und Schülern in den Austausch zu gehen, sondern ein gutes Verhältnis, Zuspruch von Schulleitung und Schulverwaltung sowie soziale Unterstützung. Auch Amy Kirchhoff bekräftigte, dass ein Engagement lehrkraftabhängig sei, dabei sei diese Zeit enorm wichtig für die persönliche Meinungsbildung. Erschwerend sei das hohe Lehrplanpensum in einem kurzen Schuljahr und der Lehrkräftemangel.
Die Frage, ob Geld ein limitierender Faktor für Demokratiebildung sei
Constance Bornkampfs Antwort auf diese Frage war ein klares Ja. Angesichts des massiven Lehrkräftemangels sei vieles nicht leistbar. Allerdings fehle es auch an einem wahrnehmbaren Hilferuf, die Unterstützung etwa aus dem Elternrat würde zu selten in Anspruch genommen. Ihrer Meinung nach sei die Schulleitung oftmals eher ein limitierender Faktor als Geld.
Susann Peschel berichtete, dass das Courage-Netzwerk aus unterschiedlichen Töpfen gefördert werde, in der Region Chemnitz gäbe es 40 Schulen im Netzwerk. Es wäre wünschenswert, wenn sich weitere Schulen öffnen; die Hilfe von außen wäre da, müsse aber auch abgerufen werden. Insgesamt seien sowohl das Geld als auch Zeit limitierende Faktoren. Im Netzwerk „Schulen ohne Rassismus – Schule mit Courage“ würde mitunter nicht mehr das gelebt, wofür es eigentlich stehe. Es sei keine Auszeichnung, sondern ein Titel und eine Selbstverpflichtung. Es gäbe viele aktive, aber auch viele inaktive Schulen. Die Arbeit sei eigentlich präventiv ausgerichtet, würde aber auch für Intervention angefragt.
Amy Kirchhoff berichtete von Präventionstagen an ihrer Schule, konstatierte aber, dass das an vielen anderen Schulen nicht der Fall sei. Ein Eingreifen wäre vor allem an Oberschulen schwierig und dort, wo es wenige Schulsozialarbeiter*innen gäbe.
Michael Jung attestierte den Unterstützungsangeboten und -materialien des Freistaates, dass sie durchaus hilfreich seien, wichtiger aber sei die personelle Unterstützung, die Nutzung außerschulischer Lernorte und ein authentisches, ehrliches Auftreten der Lehrkraft. Außerdem müssten Schülerinnen und Schüler ernst genommen und beteiligt werden.
Constance Bornkampf ergänzte, dass Schulleitungen ins Boot gehörten und Schulsozialarbeit ein Knackpunkt sei. Mitunter bräuchte es Externe für Coaching bzw. Schulungen der Kollegien.
In der anschließenden Diskussion wurde über die Eigenverantwortung von Schule, den Umgang mit Vorfällen an sächsischen Schulen, insbesondere im Landesamt für Schule und Bildung, und die Rolle der Elternhäuser gesprochen. Um Schule als demokratischen Ort präventiv zu gestalten, sei es wichtig, die Mitbestimmung zu stärken, Druck rauszunehmen und Selbstwirksamkeit erfahrbar zu machen.
Vielen Dank an alle Beteiligten für die angeregte Diskussion!
Dieses Debattenformat ‚Haltung zeigen! Schule als demokratischen Ort stärken‘ haben wir bereits in Torgau und Chemnitz durchgeführt. Auch gab es einen erfolgreichen Workshop zum Thema Demokratiebildung. Schauen Sie gerne in die Berichte rein, jede Veranstaltung hatte ihre eigenen Schwerpunkte und spannende Debatten.